Das wichtigste Gebet ist das Gebet um die Beharrlichkeit bis zum Ende. Siehe hier


Samstag, 31. März 2012

Dom Guéranger über die Passions- und Karwoche

Fortsetzung von hier

David und die Propheten liefern fast überall den Stoff zu den Ausdrücken des Schmerzes. Bald ist es Christus, der die Bekümmernisse seiner Seele enthüllt, bald sind es schwere Verwünschungen gegen seine Henker. Die Züchtigung der jüdischen Nation wird in all ihren Schrecken ausführlich dargelegt, an jedem der drei letzten Tage hört man Jeremias auf den Trümmern der treulosen Stadt klagen.
Die Kirche sucht keine fruchtlose Empfindsamkeit zu erregen, sie will vielmehr an das Herz ihrer Kinder durch einen heilsamen Schrecken schlagen. Wenn sie über das in Jerusalem begangene Verbrechen schaudern, wenn sie fühlen, dass sie daran mitschuldig sind, dann werden auch in wahrer aufrichtiger Reue ihre Tränen fließen.
Bereiten wir uns also auf erschütternde Eindrücke vor; allzu oft hat die oberflächliche Frömmigkeit unserer Zeit die Tiefe dieser furchtbaren Ereignisse mißkannt.
Gedenken wir der Liebe und des Wohlwollens des Gottessohnes, der sich den Menschen anvertraute, der mit ihnen lebte, der still seinen friedlichen Weg verfolgte, 
der umhergezogen ist, Gutes tuend (Apostelg. 10,38), und jetzt betrachten wir dieses Leben, so voll Liebe, voll Demut einem entehrenden Tod am Galgen der Sklaven preisgegeben! Betrachten wir einerseits das verkehrte Volk der Sünder, welches den Erlöser, da es kein Verbrechen an ihm finden kann, seiner Wohltaten wegen anklagt, welches den schwärzesten Undank verübt, indem es unschuldiges göttliches Blut vergießt. 
Auf der anderen Seite sehen wir den vorzugsweise Gerechten, allen Bitterkeiten zur Beute, seine Seele   betrübt bis in den Tod   (Matth. 26,28), das Gewicht des Fluches, das auf ihm lastete (Anmerk.: siehe Galater 3,13), diesen Kelch, den er, ungeachtet seiner demütigen Bitte, bis auf die Hefe trinken muss, den Himmel unbeugsam bei seinen Gebeten, wie bei seinen Schmerzen, hören wir endlich seinen Schrei:   Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.   (Matth. 27, 46). 
Das ist es, was vor allem die heilige Kirche bewegt, was sie unserer Aufmerksamkeit unterbreitet, denn sie weiß, wenn wir erst diesen furchtbaren Auftritt begriffen haben, dann brechen die Bande, die uns an die Sünde knüpfen, von selbst und es wird uns unmöglich, länger Mitschuldiger solcher entsetzlicher Taten zu bleiben.


aus Das Kirchenjahr von Dom Prosper Guéranger, Abt von Solesmes, mit bischöflicher Approbation, Verlag Franz Kirchheim, 1890